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Erklärungen, Tipps und Internetmythen

Prüfungsangst, adé

Interview mit der psychologischen Beratung
from  Jasmin Krux

Dein Herz rast, der Puls steigt, du atmest schneller ein und aus. Noch 15 Minuten dann geht die mündliche Prüfung, für die du seit Wochen lernst, los. Im Raum stehst du deinem*r Prüfer*in und dem*der Protokollant*in gegenüber. Als der*die Prüfer*in mit der ersten Frage beginnt, zitterst du. Die Frage hast du nicht verstanden, die Antwort weißt du längst nicht mehr.

Prüfungsangst zeigt ihr Gesicht in vielen Situationen: Ob in der mündlichen Prüfung, während einer Klausur oder auch gerne in den letzten harten Wochen vor der Abgabe einer Hausarbeit, überall dort wo Stress, Druck und die Angst, etwas nicht schaffen zu können, zusammentreffen. Am Ende „…ist Prüfungsangst wie jede andere Angst“ sagt Dipl. Psychologe Arthur Letzel, psychologischer Berater beim Kölner Studierendenwerk seit 2009. Doch eins bleibt immer gleich: Niemand kann sie gebrauchen.

Arthur Letzel und unsere Social-Media-Redakteurin Jasmin Krux haben sich zum Telefon-Interview verabredet. In ihrem Gespräch dreht sich alles um die Prüfungsangst. Arthur Letzel erklärt, was sie eigentlich bedeutet, ob Nervosität per se schlecht ist und was man tun kann, um aus der Prüfungsangst raus und rein in den Prüfungsmut zu kommen.

Mal ganz von vorne betrachtet: Was ist eigentlich Prüfungsangst?

Arthur Letzel: Prüfungsangst kann man unter Ängste im Allgemeinen fassen. Stress oder Angstsituationen – hier die Prüfungsangst - ist eine unspezifische Reaktion auf einen spezifischen Auslöser – hier die Prüfung. Es geht im Besonderen um Situationen, in denen Sie unter Beweis stellen müssen, bestimmte Fachkenntnisse zu haben. Dabei wird nicht nur das Wissen geprüft, sondern auch die Leistungsfähigkeit. Die Leistungsfähigkeit ist im Grunde genommen, die Fähigkeit auch in Drucksituationen Leistung erbringen zu können. Dazu gesellt sich auch die sogenannte Selbstwertproblematik: Einzelne haben oft das Gefühl, es ginge um den Wert der einzelnen Person, dem Wert als Mensch. Eine nicht bestandene Prüfung oder eine schlechte Note wird dann auf den ganzen Selbstwert verallgemeinert.

Jetzt wissen wir, wie Prüfungsangst definiert wird, aber wann tritt sie eigentlich auf? Kann man denn pauschal sagen, dass Prüfungsangst immer erst während der Prüfung zum Vorschein kommt?

Arthur Letzel: Es gibt unterschiedliche Varianten von Prüfungsangst. Es gibt Leute, die haben weit im Vorfeld Prüfungsängste, aber je näher die Prüfung rückt oder gar in der Prüfung selbst, ist es für sie auszuhalten. Bei anderen ist es genau umgekehrt, die kommen in der Lernphase gut klar, aber bei der eigentlichen Prüfung, beim Sitzen und Schreiben oder beim Stehen und Sprechen, löst es Stress aus. Das Verrückte ist, es gibt sogar Prüfungsangst nach der Prüfung. Manche Studierende geraten dann in irrationale Gedankenspiralen und fragen sich panisch „Habe ich die Frage falsch verstanden?“, „Ich habe sicher, etwas Falsches hingeschrieben“ oder „Ich habe das garantiert nicht bestanden“. 

Mit welchen Symptomen offenbart sich mir die Prüfungsangst?

Das ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Nicht alle Menschen haben die gleichen Symptome. Aber für die einzelnen Personen sind es typische Reaktionen, z.B. dass jmd. permanent rot anläuft, anfängt zu zittern, dass man permanent kalte und feuchte Hände hat. Was möglicherweise alle haben, ist, dass sich der Puls beschleunigt, das Herz schlägt schneller, der Blutdruck steigt, die Atmung beschleunigt sich und wird flacher.

Feuchte Hände, steigender Puls,.. das alles klingt erstmal ziemlich unangenehm und belastend. Ist eine gewisse Aufregung und Nervosität immer schlecht?

Die Prüfungsangst lässt sich auch mit dem Lampenfieber vergleichen. Bevor es auf die große Bühne geht, erleben Schauspieler*innen und Musiker*innen häufig das Phänomen des Lampenfiebers. Tatsächlich berichten die Künstler*innen aber, dass ihnen ein gewisses Maß an Aufregung, eine sozusagen gesunde Aggression hilft. Wenn sie ihre Auftritte etwas zu häufig aufgeführt haben und nur noch routiniert abspielen, jedes Detail auswendig kennen, dann besteht die Gefahr, dass es zu fade wird, dass der Auftritt an Qualität verliert. Auch beim Sport braucht man eine gewisse Muskelanspannung, um beim Wettkampf die bestmögliche Leistung abrufen zu können. Diese Ansicht ist auch wissenschaftlich belegt. In einer wegweisenden Studie von Yerkes und Dodson aus dem Jahr 1908 hat man auch folgendes herausgefunden: Teilnehmer*innen haben bessere Leistungen erbracht, wenn sie eine erhöhte Aufregung mitgebracht haben. Waren sie zu entspannt, wurde ihre tatsächliche Leistung schlechter.

Im Kern geht es nicht darum, dass man keine Angst mehr hat, sondern lernt mit ihr besser umzugehen und sie in den Griff zu bekommen. Denn ist die Aufregung zu groß, nimmt die Leistungsfähigkeit schlagartig ab und es kann zum Blackout kommen. Das gilt es zu vermeiden.

Da kommen wir auch schon zum Stichwort: Was kann ich tun, um Prüfungsangst zu vermeiden?

Arthur Letzel: „Die Vorbereitung ist natürlich das A und O. Wenn man sich nicht richtig vorbereitet, dann ist es sogar berechtigt, Angst vor einer Prüfung zu haben. Zu einer guten Prüfungsvorbereitung zählt nicht nur das Lernen. Eine gute Tagesstruktur, die festlegt, wann ich welchen Stoff lerne, aber auch wie ich meine Freizeit und meinen Feierabend mitberücksichtige, gehört dazu. Lerntipps und weitere wichtige Hinweise dazu kann man übrigens in unserer Lernberatung erhalten!

Was ist, wenn eine gute Struktur nicht hilft und die Nervosität weiterhin bestehen bleibt?

Arthur Letzel: „Das, was unter einer Stresssituation entsteht, ist unter anderem auch zusätzliche Energie. Sehen Sie, wenn Sie sich gestresst fühlen, bereitet der Körper sich auf zwei Szenarien vor: Kampf oder Flucht. An erster Stelle steht immer Flucht, ob man sich entfernen kann, aus der Gefahrensituation, und wenn das nicht geht, dann eben Kampf. Die dabei entstandene Energie muss rausgelassen werden. Alles, was mit Sport zu tun hat, kann da helfen. Laufen, Fahrrad fahren oder durch die Wohnung zu tanzen kann dann guttun.“

Ihre Tipps klingen erstmal plausibel, aber witzigerweise stelle ich gerade fest, dass alle ihre Tipps bisher nicht auf eine Freundin von mir zutreffen. Während ihren Abschlussprüfungen hat sie Tag und Nacht durchgearbeitet, auf Sport und jede Freizeit verzichtet, um noch mehr Zeit zum Lernen zu haben.

Arthur Letzel: „Sehen sie, das gibt es halt auch. Es gibt Leute, die mit einer Sieben-Tage-Woche durch die Prüfungsphase kommen. Aber das sind eben nicht die Leute, die unter Prüfungsangst leiden. Die Empfehlungen gelten für diejenigen, die zu so einer Ausnahmeleistung nicht in der Lage sind. Das bringt mich nochmal zu einem Punkt und Gedanken: Es ist wichtig zu verstehen, dass die Maßnahmen, die wir hier vorschlagen, als Teil der eigenen Prüfungsleistung verstanden werden. Man soll nicht denken „Oh nein, jetzt muss ich Entspannungsübungen machen, noch laufen gehen, obwohl ich doch lernen sollte.“ Aber wenn man akzeptiert hat, dass man einfach Probleme mit Prüfungsangst hat, dann sollte man die Maßnahmen dagegen als Teil der Prüfungsvorbereitung sehen. Dass auf einen durchgelernten Morgen, eine gute Mittagspause folgt. Dass zu einem langen Lerntag das Laufen am Abend und das Treffen mit Freunden später dazugehört, um erfolgreich die Prüfung bestehen zu können.

Folgendes Szenario: Es sind noch drei Minuten bis die Prüfung losgeht und mein Puls fährt hoch auf 170. Wie kriege ich mich wieder beruhigt?

Arthur Letzel: Über eine ruhige Aus- und Einatmung kann man indirekt Zugriff auf seinen Körper und die Anspannung bekommen. Dabei ist es wichtig, wie man atmet: Durch schnelles Einatmen und langsames Ausatmen beruhigt man sich am effektivsten. Bei einer langsamen Ausatmung sollte man die Lippen anspannen und die Luft ganz langsam durch die angespannten Lippen herauslassen. Der Entspannungsvorgang bei der Ausatmung gibt den entsprechenden Impuls, dass man sich beruhigt. Deswegen sollte man sich dabei möglichst viel Zeit lassen.

Und wenn ich dann in der Prüfung sitze, voll den Faden verliere und genau das erlebe, was Prüfungsangst ausmacht. Was kann ich tun?

Arthur Letzel: „Bleiben Sie im Kontakt mit ihrem Umfeld! In der mündlichen Prüfung müssen Sie versuchen im Kontakt mit dem*der Prüfer*in zu bleiben, dass Sie mitkriegen, wie er Sie anschaut, wie er redet. Falls das verloren gegangen ist, weil der Stress zu groß wurde, versuchen Sie es mit einer bewussten Kontaktaufnahme: Sprechen Sie den*die Prüfer*in an mit „Entschuldigung, ich habe gerade einen Blackout“ oder „Entschuldigen Sie, können Sie die Frage bitte nochmal wiederholen?“. Über diese Interaktion kann das Sicherheitsgefühl aktiviert werden.“

Alles klar, das bedeutet, wenn ich in der Klausur sitze, dann schaue ich auch einfach durch den Raum, beobachte meine Kommiliton*innen und stelle fest, dass ich nicht allein bin?

Arthur Letzel: „Da gibt es unterschiedliche Varianten: Der Blick nach links und rechts kann zur Feststellung beitragen „Ich bin einer unter vielen, ich bin nicht allein“, er kann aber auch wieder Stress versuchen, dass man denkt „Boah, die schreiben alle und mir fällt nichts ein“. Man muss immer wieder schauen, was tut mir gerade gut? In Kontakt zu sein darf man nicht nur in Bezug auf andere Menschen sehen. Sie können das auch auf sich selbst beziehen, dass Sie mit sich selbst in Kontakt bleiben. Dass man die Aufmerksamkeit auf sich und seinen Körper lenkt: Wie sitze ich da? Wie fühlt sich mein Körper an? Wie habe ich die Schultern? Wie sitze ich auf dem Stuhl? Bin ich verkrampft? Über so eine Art Körperwahrnehmung kann man einen neuen Realitätsbezug herstellen“

Im Netz gibt es auch kuriose Fakten zum Thema Prüfungsangst: Die richtige Ernährung, viel Tee, gar Medikamente sollen helfen, was halten Sie davon?

Arthur Letzel: „Mit diesen ganzen Hilfsmitteln, die im Netz genannt werden, da halte ich es wirklich mit ausprobieren und eigene Erfahrung damit sammeln.

Beim Stichpunkt Ernährung ist es so: Man sollte darauf achten regelmäßige Mahlzeiten zu sich zu nehmen, aber immer, wie es einem gut tut. Wenn Sie generell nicht frühstücken und morgens nichts essen wollen, hilft es nicht in der Prüfungsphase plötzlich damit anzufangen. Das sind individuelle Unterschiede. Generell tut aber die Regelmäßigkeit in der Ernährung gut. Was Sie essen, bleibt Ihnen selbst überlassen. Natürlich weiß man dennoch auch hier, dass sehr kohlenhydratreiche Gerichte am Abend nicht so günstig sind. Warum? Weil diese Mahlzeiten unglaublich leicht Energie bereitstellen und dann würden Sie den Körper am Abend auf Betriebstemperatur fahren. Da ist es besser leichtere Kost zu nehmen, damit man irgendwann auch müde ins Bett fallen kann.

Beim Tee sehe ich das so: In Prüfungsphasen kann es helfen, einen Tee zu trinken, der beruhigt. Gute-Abend-Teemischungen oder Tees, in denen Kamille, Melisse, Hopfen, Lavendel, Baldrian, etc. drin sind: Also Kräuter, von denen bekannt ist, dass sie beruhigend wirken.

Wenn Sie Medikamente zur Beruhigung nehmen wollten, würde ich zu pflanzlichen Sachen, wie Baldrian raten. Es gibt auch viele Leute, von denen ich gehört habe, dass Sie gute Erfahrungen mit homöopathischen Mitteln gemacht haben. Aber hier wie auch zu allen anderen Tipps muss man sagen: Sie sind unglaublich typabhängig und individuell. Man kann es in jedem Falle mal ausprobieren.“

Ich habe tatsächlich auch gelesen, dass Sex dabei helfen soll, den Stress zu reduzieren. Die Studie von Stuart Brody sagt, dass Sex mit dem/r Partner*in helfen kann. Wie sehen Sie das?

Arthur Letzel: Das habe ich so noch nicht gehört. Beim Sex ist das Vertrauensverhältnis entscheidend. Mit Ihrem*r Partner*in befinden Sie sich in einem vertrauten, sicheren Raum. Das Zusammenliegen nach dem Sex hält dann vor allem Ruhe und Entspannung für Sie bereit. Bei einem One-Night-Stand würden Sie aber auch wieder in eine Art Prüfungssituation geraten: „Bin ich gut? Gefalle ich?“ etc. Das würde dann gerade nach dem Sex nicht zur Entspannung führen und wäre bei Prüfungsangst nicht zu empfehlen.

 

Du kämpfst mit Prüfungangst und hast noch weitere Fragen? Dir fällt das Lernen schwer und du suchst Unterstützung? Unser Team der Beratungsstelle ist für dich da. Die psychologischen oder Lernberatung bieten Einzel- oder Gruppenchats an, hören dir zu und können dir Halt im Studienalltag geben. Oder kennst du schon unsere Workshops? Schau dich hier mal um, vielleicht ist ja ein interessantes Angebot für dich dabei.

News created on  05.03.2021

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